„Das wird für die folgenden Generationen der Kinder, die jetzt miteinreisen und in der Regel in der Schule oder im Kindergarten sehr schnell Deutsch lernen, sicherlich einfacher sein, eine Perspektive zu bekommen.“

Geflüchtete, die über ein Resettlement-Programm nach Deutschland kommen, haben einen privilegierten Zugang zum Arbeitsmarkt. Warum eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt für diese besondere Gruppe dennoch die Ausnahme darstellt, erläutert Axel Rolfsmeier (59).

(Wie) Erfolgt eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt für diese spezielle Gruppe von Geflüchteten?

Es gibt einige Beispiele, wo jemand jetzt Anfang/Mitte 30 ist, vor zweieinhalb Jahren mit seiner Familie eingereist, inzwischen ein Deutsch-Sprachkursniveau von B2 hat und jetzt eine Ausbildung im Bereich Elektro macht. Er ist insofern auf dem Arbeitsmarkt angekommen, dass er keinen prekären Hilfsjob hat, sondern tatsächlich eine Perspektive mit einer Ausbildung und dementsprechend auch langfristig unabhängig von Sozialleistungen zu leben, beruflich anzukommen und zu integrieren.

Häufig kommen alleinerziehende Mütter mit mehreren Kindern über das NesT-Programm. Da wissen alle, die sich längere Zeit in der Arbeitsförderung bewegen, das ist ein wesentliches Vermittlungshindernis – eben abhängig von guter Kinderbetreuung. Da ist der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. Darüber hinaus sind es häufig Menschen, die erstmal die lateinische Schrift lernen müssen, weil sie bisher Arabisch geschrieben und gelesen haben und sich an diese neue Sprache und Schriftsprache gewöhnen müssen – und das in der Situation mit kleinen Kindern, alleinerziehend. In diesen Fällen dauert der Spracherwerb länger und perspektivisch ist das auch nicht unbedingt ausgelegt auf ein Arbeitsleben auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Das wird für die folgenden Generationen der Kinder, die jetzt miteinreisen und in der Regel in der Schule oder im Kindergarten sehr schnell Deutsch lernen, sicherlich einfacher sein, eine Perspektive zu bekommen. Für die ältere Generation der Einreisenden ist das in der Tendenz, das höre ich von allen, sehr, sehr schwierig.

Und manchmal haben die Mentor*innen auch die Aufgabe, Mut zu machen oder auch evtl. Alternativen zu erarbeiten. Ich habe da ein Beispiel: Ein Flüchtling, der im Lager in Kenia schon immer mit dem Handy gefilmt und für sich und andere Filme geschnitten und erstellt hat und denkt, perspektivisch als Journalist oder Kameramann zu arbeiten, wäre sein großer Traum. Er hat sich tatsächlich beworben bei einem Medienunternehmen und auch ein Praktikum gemacht im Bereich Kamera. Aber Kameraleute sind zum einen oft Freelancer, die in dem Bereich arbeiten. Und das andere ist, um eine Ausbildung zu machen, hat er sich beworben und auch die erste Stufe geschafft und war dann schon in der zweiten Auswahl. Und dann ist da ein interkultureller Clash passiert: Die Kameraleute müssen zum Beispiel Musikinstrumente erkennen, nur nach Gehör. Wenn dem Kameramann gesagt wird, gehe jetzt auf die Oboe, dann muss der wissen, wo ist das. Das gehörte zu diesem Aufnahmetest dazu. Und wenn man im Sudan, Südsudan geboren und aufgewachsen ist und später in Kenia im Flüchtlingslager gelebt hat, weiß man nicht, wie sich eine Oboe anhört. Und das war eben die Hürde, die er nicht hat springen können und wo es auch offensichtlich keine Anpassung gibt. Er hätte wahrscheinlich andere Musikstücke oder Musikinstrumente aus Afrika, z.B. eine Marimba, eher erkannt, und das hätte wiederum der andere nicht erkannt, der wusste, was eine Klarinette ist. Das ist jetzt erst einmal eine große Enttäuschung für ihn und er muss jetzt für sich gucken und wird da auch durch seine Mentor*innen unterstützt bei dieser Arbeitsplatzsuche. Das ist eine der großen Aufgaben, die die Mentor*innen auch mitwahrnehmen können.

Gibt es auch Unternehmen, die sich im Programm engagieren?

Wir haben eine Mentoring-Gruppe, die besteht aus einem Team in einer Firma, ein mittelständisches Unternehmen aus Dortmund, wo ich das Programm vorgestellt habe und wo sich dann acht Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammengefunden haben. Sie machen das in ihrer Freizeit, nicht in der Arbeitszeit. Das Schöne an der Stelle ist, es braucht natürlich auch Geld, um eine Wohnung anzumieten oder für Unterstützungsleistungen und das hat in dem Fall die Firma bereitgestellt und gesagt, sie unterstützt das. Der Geschäftsführer unterstützt das Engagement seiner Mitarbeitenden in Form von Geld, indem das zur Verfügung gestellt wird, aber das nicht in deren Arbeitszeit. Es ist auch eine spannende Teambildungsmaßnahme. Und es ist dann meine Rolle, mit der Gruppe regelmäßig zu reflektieren, wo stoßt ihr auf Herausforderungen, wie geht ihr mit den Schwierigkeiten um, wie gewinnbringend ist es für euch, diese Erlebnisse zu haben. In einer gut funktionierenden Firma, da sind Abläufe beschrieben, die gut funktionieren. Und solch eine Welt stößt auf einmal auf Behördenwelt, die sagt, nein, wenn das nicht da ist, dann gibt es das nicht, und wenn das nicht da ist, dann kann man auch das nicht, also die auf einmal irgendwie in so eine Schleife von gefühlter Ohnmacht geraten. Das ist ein bisschen wie beim Hauptmann von Köpenick, erst muss das eine da sein, dann das andere, und wenn das andere nicht da ist, dann gibt es das eine nicht. In diesen Dingen so festzuhängen und zu erleben, es gibt noch eine andere Lebenswelt oder eine andere Lebenswirklichkeit, außerhalb unserer gut organisierten Firma mit Audits und QM-Abläufen, wo alles klar geregelt ist, ist ein Punkt, der einzelne Menschen weiterbringt. Und es ist auch ein Punkt, der einzelne Menschen eben nicht weiterbringt. Das kann man nicht von vornherein sagen.

Das ist einfach etwas, wo diese Firma sagt, das ist für uns eine Möglichkeit, auch ein Alleinstellungsmerkmal, bei uns kann man sich sozial engagieren, und wir unterstützen das. Wir erwarten von unseren Mitarbeitenden nicht nur Arbeitsleistungen, sondern wir geben ihnen auch die Möglichkeit, sich sozial zu engagieren. Das ist keine Pflichtveranstaltung im Sinne von heute fegen alle den Tag im Kinderheim den Hof, das gibt es ja auch, sondern das ist tatsächlich hier auf längere Sicht angelegt. Das ist nicht mit einer Erwartung, aber mit einer Hoffnung verbunden, auch des Geschäftsführers, damit Menschen an die Firma zu binden oder eine Identifikation herzustellen, indem man sagt, meine Firma macht das möglich. Es stärkt auch das Wirgefühl derjenigen, die miteinander zusammen solche Aufgaben, auch schwierige Aufgaben, schultern und meistern.

Haben die Menschen, die über das Resettlement-Programm hierherkommen, einen vergleichsweise „privilegierten“ Zugang zum Arbeitsmarkt?

Ja, sie bekommen SGB II-Leistungen unmittelbar und nicht Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz und dementsprechend auch direkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Rein von juristischer Seite her ist das eine absolut privilegierte Situation im Gegensatz zu vielen anderen Flüchtlingen, die über das Mittelmeer nach Deutschland kommen, die sowohl aufenthaltsrechtlich diesen Status nicht haben als auch sozialrechtlich nicht und auch noch auf einem sehr gefährlichen Weg hierhergekommen sind – und auch, weil sie vielleicht noch in einem anderen Land waren, aufgrund der Dublin-Verordnung in dieses Land wieder zurückgeschickt werden können.

Wäre dies Ihrer Meinung nach auch eine wünschenswerte Perspektive für andere Gruppen von Geflüchteten ohne diesen besonderen Status?

Ja, diese Anerkennung und auch diesen Zugang zum Arbeitsmarkt und nicht dieses jahrelange in irgendeiner Unterbringung festzusitzen und nicht arbeiten zu dürfen und gleichzeitig in der Zeitung lesen zu müssen, dass alle sagen, die sind alle nur faul und wollen nicht arbeiten. Das führt zu nichts, wenn das System komplett darauf angelegt ist, auszugrenzen, abzuschotten, nicht zu integrieren.

Das ist bei diesem Programm NesT – Neustart im Team zum Glück anders. Nur, dass wir es hier mit einer Gruppe zu tun haben, bei der es in einer sehr großen Anzahl alleinerziehende Frauen mit mehreren Kindern sind, die schon, wenn sie keinen Fluchthintergrund hätten, im deutschen Arbeitsmarkt eher weniger die Hauptrolle spielen. Es ist ein humanitäres Aufnahmeprogramm, in dem es nicht vorrangig darum geht, zusammen zu gucken, sind das potenzielle Arbeitskräfte für die Integration in den Arbeitsmarkt. Es geht darum, Menschen mit besonderem Schutzbedarf aufzunehmen und dauerhaft Schutz zu bieten. Das ist Wesen und Ziel des Programms.

Was sind Ihrer Meinung nach Stellschrauben, an denen dringend geschraubt werden müsste, um die Situation der Geflüchteten mit besonderem Schutzbedarf in Deutschland zu verbessern?

Also Resettlement ist immer zusätzlich zum individuellen Asylrecht, das muss man klar sagen, es darf nicht die Alternative sein zum individuellen Asylrecht. Aber es könnten mehr Leute sein. Es bräuchte mehr Organisationen wie unsere, die die Integration fördern und unterstützen, indem ein Ehrenamtsnetzwerk aufgebaut wird in einer Zusammenarbeit zwischen Kommunen, dem Staat, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundesinnenministerium und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Und dass es mehr noch zu einem Miteinander kommt auch der Kommunen vor Ort, weil die Kommunen natürlich etwas davon haben, wenn Menschen bei ihnen ankommen, die unterstützt werden aus der Bürgerschaft, die Zivilgesellschaft sich da einbringt, dann ist es langfristig auch ein besser gelingender Integrationsprozess als nur ein Ankommen in einer Kommune. Das wäre meine Vision, davon sind wir noch ein ganz gutes Stück entfernt.

Interview: Anja Buchholz; Redaktion: Anja Buchholz und Lukas Spahlinger