„Bei dem Programm NesT ist die Besonderheit, dass es eine Mentoring-Gruppe gibt von mindestens vier ehrenamtlichen Mentor*innen, die sich für ein Jahr lang verpflichten, die aufgenommenen Personen zu begleiten und zu unterstützen.“

Axel Rolfsmeier (59 Jahre) arbeitet im Programm „Neustart im Team (NesT)“, einem staatlich-zivilgesellschaftlichen Programm zur Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge. Im Interview berichtet er über die spezielle Situation dieser Geflüchteten.

Wie kommen Geflüchtete in das Projekt „Neustart im Team“?

Bei den Geflüchteten handelt es sich um besonders schutzbedürftige Personen, die Anspruch auf ein Resettlement-Verfahren haben. Resettlement meint „Umsiedlung“ und ist ein internationales Verfahren. Das heißt, die Menschen sind aus ihrem Heimatland geflohen und in einem Erstaufnahmeland. In diesem Erstaufnahmeland leben sie in der Regel in einem Flüchtlingslager von UNHCR (Der Hohe Flüchtlingsrat der Vereinten Nationen, Anm. der Redaktion) und können auch in diesem Erstaufnahmeland nicht sicher leben, weil sie einen besonderen Schutzbedarf haben. Dieser besondere Schutzbedarf kann zum Beispiel sein, Opfer von Folter und Gewalt zu sein oder Opfer von sexueller Gewalt, oder Menschen, die queer sind und in dem Aufnahmeland nicht sicher leben können, weil es teilweise unter Strafe steht, queer zu sein, oder Menschen, die einen besonderen medizinischen Bedarf haben. Sie kommen auf eine sogenannte Resettlement-Liste. Der UNHCR schätzt, dass bei aktuell rund 122,6 Millionen Flüchtlingen auf der Welt ungefähr 2,5 Millionen Menschen diesen besonderen Schutz- und entsprechenden Umsiedlungsbedarf haben. Länder wie zum Beispiel Deutschland, die USA, Kanada, Australien und Großbritannien nehmen Resettlement-Flüchtlinge auf. Das ist eine Quotierung: Es gibt ca. 6.000 Flüchtlinge pro Jahr, die über diesen Weg nach Deutschland kommen. Das ist ein sicherer Weg, das heißt, die Auswahl passiert in dem Lager im Ausland und damit auch die Anerkennung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Einreise wird organisiert über die IOM, die Internationale Organisation für Migration. Die Geflüchteten kommen mit dem Flugzeug, in der Regel mit einem Charterflug, nach Deutschland und sind dann nochmal 14 Tage in einer Erstaufnahmeeinrichtung, meistens in Friedland in Niedersachsen. Von dort aus werden die Menschen auf Gemeinden und Kommunen verteilt.

Wie unterstützt das Projekt beim Ankommen in Deutschland?

Bei dem Programm NesT ist die Besonderheit, dass es eine Mentoring-Gruppe gibt von mindestens vier ehrenamtlichen Mentor*innen, die sich für ein Jahr lang verpflichten, die aufgenommenen Personen zu begleiten und zu unterstützen. NesT schafft Begegnung, baut Vorurteile ab. Die Aufgenommenen sind meistens Familien oder Einelternfamilien, weil ein Ehepartner, oft der Mann, auf der Flucht umgekommen ist und die Mutter allein mit kleinen Kindern lebt, woraus sich der besondere Schutzbedarf ergibt. Die Mentoring-Gruppe sucht im Vorfeld eine Wohnung für diese Familie und mietet diese an. Und wenn die Menschen einreisen, haben sie unmittelbar einen Aufenthaltsstatus. Das ist der Paragraf 23, Absatz 4 im Aufenthaltsgesetz, die humanitäre Aufnahme, so dass sie für drei Jahre unmittelbar sofort eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Sie haben die Anerkennung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention, durchlaufen dementsprechend kein Asylverfahren in Deutschland und sind sozialrechtlich allen anderen gleichgestellt, die schon lange in Deutschland leben.

Aus welchen Ländern kommen die Menschen ursprünglich, die im Programm begleitet werden?

Das Resettlement nach Deutschland passiert im Moment im Kontext von NesT über bestimmte Erstaufnahmeländer. Das sind Kenia, da sind es sehr viele Menschen aus Mittel- und Ostafrika, oder Ägypten, da sind es Menschen sowohl aus Syrien als auch aus Afrika, und Jordanien, da sind es sehr viele Menschen, die aus Syrien geflohen sind. Diese Verfahren bedürfen erheblicher zwischenstaatlicher Abstimmung und Verträge zwischen den Staaten, organisiert durch UNHCR. Das ist wahnsinnig komplex und dementsprechend langwierig, bis überhaupt solche Regelungen auf den Weg gebracht werden können.

Mit welchen Erwartungen oder mit welchem Bild von Deutschland kommen die Menschen hierher?

Über die Arbeit mit den ehrenamtlichen Mentor*innen bekomme ich mit, dass es im Wesentlichen so ist, dass die Hoffnung auf ein neues und sicheres Leben erstmal das Wesentliche ist, was Menschen sich anfangs erhoffen. In der Regel gibt es einen relativ großen Schock, weil die Einreise in eine völlig andere Kultur oder politische Landschaft, aber auch in eine andere Umgebung erfolgt. Der Flug geht abends in Kenia ab, morgens landet man in Frankfurt, dann ist man noch einmal vierzehn Tage in Friedland und kommt von da aus irgendwo nach Westfalen, in irgendeine Kommune, in eine völlig andere Welt, ein völlig anderes Leben. Dann gibt es da Menschen, deren Sprache man nicht spricht, die die Sprache der Geflüchteten auch nicht sprechen.

 Nach der Ankunft kommt oft nach einer gewissen Zeit nach der Ankunft eine Phase der Traurigkeit. Jetzt ist die Flucht zu Ende, und während andere sagen: Mensch toll, das ist doch super, bedeutet das für viele aber auch zu realisieren, ich komme nie wieder in mein Heimatland zurück. Es bestehen Kontakte über das Internet mit Menschen im Heimatland. Aber dann zu merken, ich werde nie wieder dahin reisen können und Familienzusammenführungen mit der Tante oder dem Onkel sind nach Deutschland vielleicht auch nicht möglich, sodass klar ist, ich werde meine Verwandten wahrscheinlich niemals wiedersehen (Familienzusammenführungen beziehen sich im deutschen Recht allein auf die Kernfamilie, Anm. d. Redaktion). Das ist ein Trauerprozess, der da in Gang kommt und offenbar auch eine Situation kompletter Überforderung.

Welche Erwartungen an ihre Arbeit nehmen Sie bei den Mentor*innen wahr und ändern sich diese im Laufe des Engagements?

Da gibt es auch am Anfang hohe Erwartungen. Und auch da gibt es einen Praxisschock, insbesondere bei denjenigen, die noch nicht so viel Erfahrung haben. Es gibt Gruppen, da sind Ehrenamtliche dabei, die sich seit 30 Jahren ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit engagieren. Diese Menschen wissen, mit der Ausländerbehörde ist es nicht immer leicht oder beim Jobcenter kommt man nicht immer sofort durch. Die haben das 50.000 Mal erlebt, weil sie Geflüchtete betreuen, die nach Paragraf 16 Grundgesetz Asyl beantragen und da tauchen ganz andere Probleme auf. Für andere, die „neu“ sind, gibt es noch hohe Erwartungen, um dann festzustellen, ah, das geht nicht so schnell. Da geht es in der Begleitung immer darum, kleine Schritte zu würdigen und sich Zwischenziele zu setzen, und nicht zu denken, die Menschen sind hier in zwei Jahren alle in Arbeit und unabhängig von SGB II-Leistungen, die Kinder gehen hier in die Schule und eins der Kinder spielt dann auch noch so erfolgreich Fußball, dass es demnächst bei irgendeinem Bundesligisten reüssiert und dort im Finale das entscheidende Tor schießt.

Also das sind schöne Bilder, die natürlich nur im Einzelfall klappen. UNHCR stellt uns Menschen vor, die Fluchtgeschichte haben und jetzt Personen sind, die in der Öffentlichkeit sehr stark wahrgenommen werden aufgrund ihres Erfolgs. Alphonso Davies zum Beispiel ist ein Fußballspieler, der bei Bayern München spielt und als Flüchtling über ein Resettlement-Programm nach Kanada gekommen ist. Das sind natürlich immer gute Beispiele, das ist dann nicht das typische Bild des Geflüchteten, wie es oft in der Presse dargestellt wird, sondern das sind beruflich gut integrierte Menschen, die auch in ihrem Leben eine Fluchtgeschichte, aber auch andere Geschichten haben. Und sich selbst anders definieren, eben als Sportler, und nicht als Fluchterfahrener.