ARBEITEN
Kommen viele Ratsuchende mit zu optimistischen Vorstellungen, was die Chancen auf Arbeit oder Ausbildung angeht?
Ilze Hundegger: Das Schwierigste ist, die erste Stelle zu finden. Wenn sie diese haben, dann geht es gut weiter. Es braucht eine Firma, die ihnen eine Chance gibt. Wir können die Menschen dabei in ihrer Motivation stärken und ihnen helfen, die Bewerbungsunterlagen zu erstellen. Wir können auch schauen, welche Unternehmen es in München oder am jeweiligen Wohnort gibt. Viele Klientinnen und Klienten wollen zum Beispiel gern mit einer Ausbildung als Lokomotivführer*in, Lagermitarbeiter*in, Erzieher*in oder in der Pflege anfangen. Da gibt es auch gute Chancen – vorausgesetzt sie sprechen Deutsch auf dem Sprachniveau B2.
Magdalena Baur: Viele Ratsuchende, die zu uns kommen, gehen davon aus, sie könnten schon in die Ausbildung einsteigen, wenn sie im Deutschen das Sprachniveau B1 erreicht haben. Da machen sich viele falsche Hoffnungen. Ein Integrationskurs schließt mit B1 ab, bloß nimmt einen selten ein Ausbildungsbetrieb, weil es mit diesen Sprachkenntnissen sehr schwer ist die Berufsschule zu schaffen. Der Jugendintegrationskurs dauert neun Monate, der B2-Kurs nochmal vier bis fünf Monate. Wenn die Jugendlichen im September angefangen haben, ist der nächste Ausbildungsstart schon vorbei und sie können ein halbes Jahr nichts machen außer Praktika oder arbeiten. Für manche kommt eine Ausbildung allerdings schon aus finanziellen Gründen gar nicht in Frage, weil sie mit 900 Euro Ausbildungsgehalt den Lebensunterhalt ihrer Familie nicht sichern können. Stattdessen machen sie dann oft in prekäre Jobs mit 12-Stunden-Schichten.
Wie sieht es mit den Schulabschlüssen aus?
Magdalena Baur: Was wir merken ist: Wenn Klientinnen und Klienten so jung nach Deutschland gekommen sind, dass sie hier einen deutschen Schulabschluss machen, ist der besser anerkannt als ein ausländischer und man findet damit leichter eine Ausbildungsstelle.
Warum vertraut man nicht einmal den EU-Schulabschlüssen?
Magdalena Baur: Wenn jemand in Deutschland die Mittelschule besucht und vielleicht sogar den Quali bestanden hat, dann sieht der Betrieb ein bestimmtes Deutschniveau als gesichert an. Ein Problem ist, dass die Zeugnisanerkennungsstelle in Bayern so überflutet ist mit Anträgen, dass sie nur noch Zeugnisse anerkennt, wenn die Berufsschule bestätigt, dass eine Anerkennung notwendig ist. Bei den schulischen Ausbildungen in der Pflege oder Kinderpflege ist es Voraussetzung, dass ausländische Zeugnisse bereits anerkannt sind. Um aber zu dieser Anerkennung zu kommen, müsste man eigentlich bereits in der Schule sein. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Gibt es aus Ihrer Sicht politische Stellschrauben, an denen man drehen müsste, damit die Integration in die deutsche Arbeitswelt leichter fällt?
Ilze Hundegger: Wir haben in München die Servicestelle für ausländische Abschlüsse, da beträgt die Wartezeit vier oder fünf Monate. Wir wünschten sehr, dass diese Servicestelle mehr Mitarbeitende hätte, damit sie die Anträge schneller bearbeiten könnte. Dasselbe gilt für die Ausländerbehörde.
Magdalena Baur: Und noch vor der eigentlichen Arbeitsmarktintegration geht es um ganz notwendige Sachen, etwa um Integrationskurse mit Kinderbetreuung zum Beispiel. Wie können Eltern Deutsch lernen, wenn sie keine Möglichkeit haben, ihr Kind während des Sprachkurses unterzubringen? Es gibt da viel zu wenig Plätze in Sprachkursen, die mit einer Kinderbetreuung verbunden sind. Je nach benötigtem Sprachniveau gibt es für diese eine Wartezeit von etwa einem Jahr. Eltern können natürlich auch nicht arbeiten gehen oder eine Ausbildung anfangen, wenn die Kinderbetreuung nicht gewährleitet ist.
Würden Sie sagen, dass die Hürde des Sprachniveaus verringert werden müsste, dass auch Deutsch auf B1-Level für die Aufnahme einer Ausbildung reichen könnte?
Magdalena Baur: Nein, ich kann total verstehen, dass Betriebe und Berufsschulen sagen, dass B2 notwendig ist. Aber man müsste den Weg dorthin erleichtern. Anders als bei Integrationskursen gibt es zum Beispiel keine B2-Kurse speziell für junge Leute bis 26 Jahre. In solchen könnten sich leichter Peer Groups bilden, freundschaftliche Kontakte. Es gibt auch gar keine B2-Kurse mit Kinderbetreuung.
Erleben Sie auch Erfolgsgeschichten Ihrer Klientinnen und Klienten?
Ilze Hundegger: Ja, immer wieder. Ich hatte zum Beispiel eine Klientin aus Moldawien, mit der habe ich einen Plan entwickelt, der Schritt für Schritt aufgegangen ist. Sie hatte in Ihrer Heimat Sozialpädagogik studiert. Hier in Deutschland hat sie dann zunächst den Deutsch-B2-Kurs absolviert, sich eine eigene Wohnung gesucht, den Führerschein neu gemacht, sich ehrenamtlich engagiert und gute Zeugnisse dafür bekommen. Jetzt arbeitet sie in einem Familienzentrum als Erzieherin und ist auf dem Weg, ihr Diplom als Sozialpädagogin anerkennen zu lassen.
Magdalena Baur: Mir fällt ein nettes Beispiel von einem Klienten aus Eritrea ein. Der war schon in einer Ausbildung im Elektrobereich, als er zu mir in die Beratung kam. Er hatte den praktischen Teil der Abschlussprüfung sehr gut bestanden, ist aber leider zweimal durch den theoretischen Teil gefallen. Er war tieftraurig und überlegte, die Ausbildung in einem anderen Bundesland nochmal zu versuchen. Stattdessen hat er hier über eine Zeitarbeitsfirma in einem Elektrobetrieb angefangen. Und jetzt, nach einem Jahr, hat ihn der Betrieb fest übernommen, weil er einfach so gute Arbeit macht. Der Klient ist glücklich, der Arbeitgeber auch. Ich finde: Man sieht an dem Beispiel, dass es nicht allein auf den Abschluss ankommt.
Interview und Redaktion: Philip Büttner