ARBEITEN
Jetzt haben Sie einige Jahren als Pflegehelferin gearbeitet, obwohl Sie ein Sozialpädagogik-Diplom und die Ausbildung zur Krankenschwester aus Ungarn hatten. Was gab es für Sie für Optionen?
Die Optionen, die ich in Niedersachsen hatte, waren, dass ich die Krankenpflegerschule in drei Jahren komplett wiederhole bzw. die Altenpflegerschule. Das war noch so, dass man die Ausbildung komplett selber zahlen musste. Was interessant war, dass es in einem anderen Bundesland nicht nötig gewesen wäre. Da hätte ich die Möglichkeit zu einem 10-monatigen Anerkennungskurs gehabt.
Die andere Möglichkeit war mein Sozialpädagogik-Diplom anerkennen zu lassen und das war – für mich überraschenderweise – eigentlich der kürzere Weg. Meine Recherchen im Internet ergaben, dass das in etwa ein halbes Jahr oder Jahr dauert. Also habe ich mich informiert, wie das geht und versucht, den Prozess zu starten. Das war schon interessant, denn dafür gab es keinen üblichen Prozess und keine Erfahrungen mit den Verfahren, geschweige denn Beratungsangebote, sodass eine Behörde mich zu der anderen geschickt hat, bis ich irgendwann bei einer Fachhochschule gelandet bin. Dort wusste aber keiner so recht, was sie mit mir anfangen sollen. Niemand konnte mir weiterhelfen. Es gab keine Erfahrungen, weil noch niemand versucht hatte, die Anerkennung dort zu bekommen. Es war unklar, welche Kurse ich besuchen musste, welche Prüfungen mir noch fehlten und so weiter. Trotzdem habe ich dann alles eingereicht, um möglichst schnell anfangen zu können zu studieren. Darauf habe ich keine Antwort erhalten und habe dann versucht, hinterher zu telefonieren. Es war klar, dass ich im zweiten Semester anfangen müsste und das Modul „Recht“ nachmachen musste. Unklar war jedoch, was sonst noch. Der Prozess und der Vorgang waren für mich ziemlich unverständlich und komisch. Irgendwann hatte ich eine Ansprechperson in der Fachhochschule, die mich aber mit falschen Informationen ausstattete. Das hatte zum Ergebnis, dass mir gesagt wurde, diese Kurse müsste ich belegen, die würden dann anfangen und da dürfte ich hin. Mit der Zeit wurde jedoch klar: Ich hatte keine schriftliche Zulassungsbestätigung zur Fachhochschule, keinen Studierendenstatus, ich tauchte auf keiner Anwesenheits- oder Prüfungsliste auf, hatte keinen Zugang zu den Lehrmaterialien, ich war nicht im System registriert, hatte aber einen Stundenplan. Über Änderungen im Stundenplan wurde ich jedoch nicht informiert. Wenn ich in Seminaren oder Kursen auftauchte, wusste niemand, wer ich bin, warum ich da war oder was ich wollte. Ich konnte nicht nachweisen, dass ich die Berechtigung hatte, da dies ja nur auf einer mündlichen Zusage der Ansprechperson beruhte. Das war schon eine psychische Belastung und alles sehr chaotisch. Das waren schon sehr schwierige Bedingungen, um diesen Anerkennungsprozess zu durchlaufen.
Wie konnten Sie unter diesen Bedingungen das Anerkennungsverfahren abschließen?
Dazu habe ich eine Anekdote: Es war klar, ich muss eine Prüfung abschließen. Auf die Prüfungsliste durfte ich mich jedoch nicht eintragen, weil ich ja nicht im System eingetragen war. Meine Ansprechperson hat dann aber gesagt, schreiben Sie einfach drauf los und dann gucken wir mal. Im zweiten Semester – das für mich das erste war – musste ich die Familien- und Jugendrecht-Prüfung ablegen, durch die ich in der schriftlichen Prüfung durchgefallen war. Da fehlten mir die Deutschkenntnisse in der Rechtssprache, die zu Beginn auch nicht eingefordert wurden. Also musste ich in eine mündliche Prüfung. Dabei hatte ich das Glück, dass der prüfende Jugendrichter eine Notiz in seinen Unterlagen gemacht hatte, was der einzige schriftliche Nachweis war, dass ich überhaupt da war. In diesem Stil ist das ganze Rechtssemester abgelaufen. Daraufhin habe ich in den weiteren Modulen darauf geachtet, dass mich die Dozenten immer gesehen haben. Denn ich wurde von der Verwaltung ausdrücklich gebeten, mit niemandem zu reden.
Warum durften Sie mit niemandem reden?
Das habe ich auch nicht so recht verstanden, es jedoch so hingenommen, da ich mit meinen privaten Problemen so beschäftigt war, dass ich nicht die Kraft hatte, dem nachzugehen.
Wie lang hat die Anerkennung insgesamt gedauert?
Das hat insgesamt zwei Jahre gedauert und war alles sehr unstrukturiert. Wenn ich mit einer Prüfung fertig war, dann wurde mir gesagt, dass ich etwas anders auch noch machen müsste. Also habe ich das gemacht. Und ich habe auch ein paar Kurse verpasst, da bestimmte Sachen nicht jedes Semester angeboten wurden oder Aufbaukurse auf den Grundlagenseminaren aufbauten, die ich dann erstmal machen musste. So hat sich das etwas hingezogen. Ich habe mich von meiner Ansprechperson nicht ernst genommen gefühlt und hatte den Eindruck, dass sie davon ausging, dass ich irgendwann aufgeben würde. Das war alles ziemlich gruselig. Kurz bevor ich alles abgeschlossen hatte, wurde mir dann noch gesagt, dass ich eine C1-Deutschprüfung absolvieren müsste. Die ungarische Sprachprüfung wurde nicht anerkannt.
Glauben Sie, das lag daran, dass die Hochschule einfach selber noch nie diesen Prozess hatte und deshalb gar nicht vorbereitet war?
Ich glaube schon, weil mir immer wieder gesagt wurde, das Verfahren und mein Status müssten noch geklärt werden. Ich hatte extra gespart, da ich davon ausgegangen bin, dass die Anerkennung etwas kosten würde. Die Alten-Pflegeschule hätte ja monatlich 300 Euro gekostet.
Aber dann haben Sie auch keine Semestergebühren bezahlt?
Gar nichts. Ich war auch nirgendwo registriert. Ich hatte ja auch keinen Zugriff auf jegliches Lehrmaterial. Ich habe meine Kommilitonen anbetteln müssen, dass sie mir Zugang zu den Lehrmaterialien schicken.
Haben Sie dann eine Bachelorurkunde erhalten?
Erstmal nein, nicht direkt. Ich habe einen Brief bekommen, dass ich den theoretischen Teil abgeschlossen habe und ich dürfte jetzt einen Anerkennungsplatz suchen. Bis ich einen Platz gefunden habe, hat das auch wieder etwas gedauert. Zu dem Zeitpunkt hatte ich kein Vertrauen mehr. Um sicherzustellen, dass ich das Anerkennungsjahr auch wirklich absolviere, habe ich dann meine Kontaktperson von der Fachhochschule, sowie die Kollegen der Anerkennungsjahrs-Stelle zusammengetrommelt und eine Kaffeerunde organisiert. Somit gab es Zeugen, die bestätigen konnten, dass ich auch wirklich da war. Dort habe ich dann meine Abschlussarbeit geschrieben und sie danach verteidigt. Und dann ganz am Ende hat mir meine Ansprechperson an der Uni gesagt, dass ich die Erste bin, die das geschafft hat, gratuliert und ich musste dann für die Urkunde noch 13 Euro zahlen, sonst gar nichts. Also, irgendwie habe ich schon was Positives davon mitgenommen. Denn ich war die Erste, die die Anerkennung durchlaufen hat. Außerdem habe ich viel über das deutsche Recht gelernt. Ich wurde dann von der Stelle, in der ich das Anerkennungsjahr absolviert hatte, übernommen. Und damit begann für mich die Zukunft. (lacht)
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in einem fremden Land in diesem Büro mit Namenschild an der Tür sitzen würde und dort einen Job hätte. Das war schon ein krasses Gefühl!
Würden Sie es im Rückblick nochmal genauso machen oder würden Sie beispielsweise die Pflegerausbildung nachholen?
Nein, also wenn es leichter gewesen wäre, meine Krankenschwesterausbildung anerkennen zu lassen, dann wäre ich nie auf die Idee gekommen, das Studium anerkennen zu lassen.
Warum?
Also mit drei Kindern in der Pubertät, die man alleine erzieht, da steht die Existenz wirklich so sehr auf dem Spiel, dass man jeden Tag darum kämpft, genug zum Überleben zu haben, da hätte ich definitiv nicht an meine eigene Karriere gedacht oder sowas. Das war eine Notlösung, aber ich bin sehr dankbar dafür, dass es so gelaufen ist, weil ich jetzt eigentlich da bin, wo ich mich auch zugehörig fühle.
Das passt dann sogar schon zur Abschlussfrage. Hätten Sie einen Tipp, etwas, was Sie anderen mitgeben würdest, die auch überlegen nach Deutschland zu kommen?
Also als erstes: die Sprache. Auf jeden Fall die Sprache erlernen. Besonders in Berufen, in denen man viel mit Menschen zu tun hat, ist das sehr wichtig. Und dann ist es wichtig, sich mit den Prozessen vertraut zu machen; Krankenversicherung, Rente, Arbeitsvertrag, oder Ummeldung der Wohnung. Vielleicht im Vorfeld schon einmal potentielle Arbeitgeber kontaktieren und eventuell die Behörden. Denn mithilfe dieser Informationen lässt sich besser kalkulieren, ob das Geld reicht, bis man Arbeit findet.
Ich denke, es ist die falsche Motivation ins Ausland zu gehen, nur weil man besser leben will. Denn, wenn man da, wo man die Sprache beherrscht und die Welt kennt, wo man Freunde hat, unzufrieden ist, sollte man nicht glauben, dass man woanders, wo all das fehlt, einfach zufrieden wird. Man sollte sich schon genau überlegen, welche Perspektive man für sein Leben hat und ob die beruflichen Perspektiven sich im Ausland auch umsetzen lassen. Wenn man eine Perspektive hat, lässt sich das auch auf ein anderes Land verlagern. Ich habe Personen kennengelernt, die in Ihrem Heimatland Ingenieur waren und hier Jahrzehnte lang in der Küche oder als Putzkraft gearbeitet haben und außer zu den Menschen aus der eigenen Heimat kaum Kontakte pflegten. Zufrieden waren sie aber nicht.
Wenn man im Ausland leben will, dann muss man bereit sein, die Festplatte im Kopf zu tauschen. Man kann nicht die alte Kultur komplett behalten wollen und sich hier versuchen zu integrieren. Das wird nicht funktionieren. Man muss offen für Neues sein und auch bereit sein, von den alten Sachen etwas abzulegen.
Man sollte auch versuchen, da zu leben, wo man seinen Alltag lebt. Sonst bleibt man zwischen zwei Welten hängen, wird heimatlos und kommt nirgendwo an.
Wenn man die Möglichkeit hat, sich mit Leute aus der eigenen Heimat zu treffen, dann kann man das auch nutzen. Auch das ist schön und wichtig. Man muss aber aufpassen. Es kann einen auch davon abhalten, dass man sich integriert und Wurzeln schlägt…
Interview: Laura Kramer und Beate Schulte; Redaktion: Lukas Spahlinger