„Ausländische Pflegefachkräfte sind hier oft unterfordert.“

13. Nov. 2025

Tornike Murtskhvaladze und Tatia Chkhenkeli vom Welcome Center Hannover sprechen über die Anziehungskraft Deutschlands, über international unterschiedliche Arbeitsanforderungen und Arbeitskulturen.

Welche Rolle spielen internationale Arbeitskräfte für die Fachkräftesicherung deutscher Unternehmen?

Tornike Murtskhvaladze: Eine sehr große. In Deutschland haben laut Bundesagentur für Arbeit immerhin 15 Prozent der Arbeitnehmer einen ausländischen Pass. In manchen Branchen sind es noch mehr: in der Gastronomie zum Beispiel 33 Prozent, im Güterverkehr 28 Prozent, in der Lagerwirtschaft etwa 22 Prozent. Daran sieht man, wie wichtig Zuwanderung ist. Gleichzeitig gibt es aber auch viel Abwanderung. Wir haben in der Region viele Gastronomieunternehmen, Bauunternehmen, Pflegeheime oder Krankenhäuser, die auf ausländische Fachkräfte dringend angewiesen sind.

Wie attraktiv ist Deutschland denn als Zielland für Fachkräfte? Kommt es vor, dass Bewerber wieder abspringen, weil die bürokratischen Hürden bei uns hoch sind?

Deutschland genießt international einen sehr guten Ruf, und viele Menschen möchten hier arbeiten. Gleichzeitig kommt es durchaus vor, dass Bewerbende den Einstellungsprozess abbrechen, weil die Verfahren zu lange dauern. Viele investieren viel Zeit und Energie: Sie nehmen Urlaub, um intensiv Deutsch zu lernen, und kündigen teilweise sogar ihren bisherigen Job. Irgendwann brauchen sie jedoch die Sicherheit, dass der Einstellungsprozess tatsächlich vorankommt. Erhalten sie in dieser Phase ein anderes Angebot – möglicherweise auch aus einem anderen Land –, entscheiden sie sich ggf. dafür.

Sind die Arbeitsanforderungen bei uns anders als in den Herkunftsländern?

Tornike Murtskhvaladze: Ja, die Arbeitsanforderungen unterscheiden sich in vielen Fällen von denen in den Herkunftsländern. In Deutschland sind Arbeitsprozesse häufig stärker standardisiert und formalisiert. Es gibt klare Zuständigkeiten, verbindliche Qualitäts- und Dokumentationspflichten. Hinzu kommen oft strengere rechtliche Vorgaben, etwa in Bezug auf Arbeitsschutz, Datenschutz oder Haftungsfragen. Andererseits fühlen sich z.B. ausländische Pflegefachkräfte hier unterfordert, da sie nicht so viele Befugnisse haben, wie in ihren Heimatländern im gleichen Beruf. Viele von ihnen haben Krankenpflege studiert, arbeiten dann jedoch in deutschen Pflegeheimen oder Krankenhäusern mit deutlich eingeschränkterem Aufgaben- und Verantwortungsbereich als in ihrer Heimat. Das nehmen sie häufig in Kauf, weil sie hier zumindest einen gut bezahlten Arbeitsplatz haben und langfristig bessere berufliche Perspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten sehen.

Tatia Chkhenkeli: Eine Pflegefachkraft aus Tunesien ist beispielsweise nahezu auf dem Niveau eines Arztes ausgebildet. Um spätere Enttäuschungen zu vermeiden, ist es wichtig, dass von Anfang an klar kommuniziert wird, welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten sie in Deutschland erwarten.

Beobachten Sie Unterschiede in den Arbeitskulturen?

Tornike Murtskhvaladze: Wir beobachten häufig, dass ausländische Fachkräfte zunächst sehr zurückhaltend auftreten. Sie trauen sich oft nicht, dem Arbeitgeber offen mitzuteilen, wenn sie mit etwas unzufrieden sind, und sie haben teilweise ein anderes Verständnis von Hierarchien. Ein Beispiel: In Deutschland gilt häufig die Regel, dass man jemanden, der einen duzt, ebenfalls duzt. Viele ausländische Fachkräfte setzen jedoch weiterhin auf das Sie, insbesondere gegenüber der Führungskraft.

Tatia Chkhenkeli: Oder auch die Frage: Wie gehe ich mit Kritik am Arbeitsplatz um? In Deutschland werden Fehler in der Regel direkt angesprochen. Dieses konstruktive Feedback ist meist wohlwollend gemeint und soll helfen, Probleme frühzeitig zu lösen und die Arbeit zu verbessern. In manchen Kulturen hingegen wird Kritik eher indirekt geäußert oder ganz vermieden, sodass offene Rückmeldungen schnell als persönlich oder negativ empfunden werden können. Wer neu in Deutschland arbeitet, muss diesen Unterschied erst einordnen lernen und verstehen, dass sachliche Kritik nicht als persönliche Abwertung gemeint ist.

 

 

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