„Weil es in der Regel ältere Menschen sind, die sich engagieren, haben sie teilweise in den Familien eine Art Opa- und Oma-Funktion.“

Ehrenamtliche zu suchen, auszubilden und in ihrer Rolle als Mentor*innen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge zu unterstützen, ist Axel Rolfsmeiers (59) Aufgabe im Programm NesT. Welche vielfältigen Funktionen diese Ehrenamtlichen für die Geflüchteten erfüllen, erzählt er im Interview.

Unterstützen die Mentor*innen neben verwalterischen Hilfestellungen auch bei der Suche nach Sprachkursen, bei Dingen des täglichen Lebens, Einkauf oder Mobilität etc.?

Ja, absolut. Am Anfang geht es hauptsächlich um diese ganzen Anmeldungsgeschichten. Aber dadurch, dass die eingereisten Personen bereits einen anerkannten Flüchtlingsstatus besitzen, haben sie einen Rechtsanspruch auf einen Integrationskurs und die Ehrenamtlichen unterstützen dabei, einen Integrationskurs zu finden, je nachdem, wo man ist. Ostwestfalen zum Beispiel ist recht ländlich, da ist es manchmal nicht ganz so schnell und einfach. Im urbanen Bereich – wir haben eine Gruppe in Schwerte – die haben sowohl in Schwerte, in Hagen als auch in Dortmund die Möglichkeit, das sind ja alles keine großen Entfernungen. Das muss man versuchen, in den Alltag der Mutter mit zwei Kindern in der Schule und einem Kind im Kindergarten zu integrieren. Die Mentor*innen machen sowohl das als auch Unterstützung und Perspektivplanung.

Alleinerziehende Mutter mit drei oder vier Kindern in einer völlig unbekannten Welt zu sein, ist schon schwierig, wenn man Deutsch spricht -umso schwieriger also für Menschen, die die Sprache neu lernen. Dann noch mit SGB II-Leistungen zu leben, zu merken und zu realisieren, ich komme hier an und ich bin am unteren Ende der sozialen Leiter. Dann festzustellen, wie teuer hier alles ist, wie lange das Geld unter Umständen reicht oder auch nicht. Das ist oft begleitet von einer Phase der Verarbeitung des Abschieds und sich in der Situation zurechtzufinden, Unterstützung zu benötigen, insbesondere wenn es darum geht, mit kleinen Kindern allein zu sein. Umso besser ist es, dass es ehrenamtliche Mentor*innen gibt, die da unterstützen, auch viel auffangen können und auch dabei helfen, sich im Sozialraum zu verankern.

Wie funktioniert die sprachliche Verständigung zwischen Mentor*innen und Aufgenommenen im Programm?

Selten ist es so, dass die Flüchtlinge, wenn sie kommen, Englisch oder Französisch sprechen, was es auch für die Mentor*innen einfacher macht, mit ihnen zu kommunizieren. Oftmals ist es so, dass Arabisch gesprochen wird und noch eine Sprache aus dem Heimatland, zum Beispiel Tigrinya. Dann suchen die Mentor*innen erst einmal Dolmetscher*innen und dann ist das immer eine Dreiecks-Kommunikation mit einer übersetzenden Person. Am Anfang passiert ganz viel, was die Mentor*innen und die Mentees miteinander erleben, weil es sozusagen um die Anmeldung im deutschen System geht. Das beginnt mit der Anmeldung bei der Ausländerbehörde, um den Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis -durchzusetzen. Mit der Aufenthaltserlaubnis kann man dann ein Konto eröffnen. Hat man noch keine Aufenthaltserlaubnis, wird es schwierig, ein Konto zu eröffnen aufgrund des Geldwäschegesetzes. Parallel wird ein SGB II-Antrag gestellt für die Leistung nach Sozialgesetzbuch II. Da gibt es teilweise lange Wartezeiten bei den Jobcentern, deswegen sind die Mentor*innen auch aufgefordert, frühzeitig Termine zu organisieren und das zu unterstützen. Da stellen wir oft fest, es kommt selbst bei kurzen Wartezeiten nicht immer sofort zur Leistungsgewährung, auch Vorschüsse werden oft nicht gegeben, wie sie eigentlich – es gibt da auch eine Dienstanweisung zu – gewährt werden sollten.

Es geht ganz viel darum, dass die Mentor*innen auch im Sozialsystem unterstützen. Und die Mentor*innen sind in der Regel gar nicht so erfahrene Menschen in diesem Bereich. Das wird unterschiedlich bewertet.

Wir haben eine Mentorin, die ist über 70, Lehrerin, und sagt, ich habe noch nie damit zu tun gehabt, beim Jobcenter oder beim Arbeitsamt einen Antrag zu stellen. Jetzt bin ich damit konfrontiert worden und habe erst einmal gemerkt, wie schwierig das ist.

Es gibt andere Mentor*innen, die sich da auch überfordert fühlen und immer wieder Unterstützung brauchen. Dafür sind meine Kolleginnen und ich in unserer Kontaktstelle da, die Ehrenamtlichen mit Wissen zu versorgen und dabei zu unterstützen, wie die Rechte umgesetzt werden können, und vor allem immer wieder zu raten, sich in das örtliche Beratungssystem zu begeben und dort Hilfe zu suchen. Das Programm ist bundesweit angelegt, von daher können wir jetzt nicht aus dem Büro in Villigst mit dem Jobcenter z.B. in Heidelberg verhandeln, sondern das muss vor Ort passieren. Wir können da nur informieren und ermutigen und auch immer wieder vernetzen.

Gibt es Herausforderungen, mit denen sich speziell Geflüchtete konfrontiert sehen?

Wenn Menschen auf der Flucht geboren sind, ist da nicht unbedingt das Standesamt um die nächste Ecke, wo man eine Geburtsurkunde bekommt. Kommt man aber in Deutschland an und meldet sich bei einer Behörde an und hat keine Geburtsurkunde, dann heißt es: keine Identität, dich gibt es gar nicht oder wir geben dir jetzt eine Identität. Dort steht dann „nach eigenen Angaben“, das ist aber problematisch. Natürlich haben sie erst einmal einen Aufenthaltsstatus, aber es führt unterm Strich am Ende dazu, dass eine Person mit einer nicht geklärten Identität niemals eingebürgert werden kann. Für alle, die über NesT einreisen und eine Identität haben, also nach deutschem Statusrecht perspektivisch eine Einbürgerung möglich ist, wenn alle anderen Bedingungen erfüllt sind, also Spracheerwerb, ein Leben unabhängig von Sozialleistungen, etc., dann kann das langfristig in einer Einbürgerung resultieren. Das ist aber bei einer nicht geklärten Identität einfach unmöglich in Deutschland.

Ich weiß nicht, wie viele Menschen es weltweit gibt, die keine Geburtsurkunde haben und eben keine Identität in dem Sinne nachweisen können, die auch ihren Geburtstag nicht kennen. Da gibt es immer dieses Hilfskonstrukt, wenn man das Jahr noch weiß, dann wird der Geburtstag auf den 1. Januar festgelegt. Für die betroffenen Personen führt das dann häufig mittelfristig zu einer Verunsicherung, bin ich hier eigentlich wirklich gewollt – nicht schon nach 3 Wochen, da ist es alles noch viel zu neu.

Das Mentoring ist auf ein Jahr angelegt, richtig? Gibt es Verlängerungsmöglichkeiten?

Ja, das ist die „Minimumzeit“, viele machen länger. Das Programm ist so angelegt, dass die Mentor*innen sich für ein Jahr verpflichten zu unterstützen und darauf hinarbeiten, sich in der zweiten Jahreshälfte schon mehr und mehr zurückzuziehen und zur Eigenständigkeit zu ermuntern. Die Wege zum Sprachkurs, die Wahrnehmung von Terminen bis hin zum Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, all dies passiert natürlich nach der Zeit komplett unabhängig und allein und braucht dann ja auch keine Begleitung. Andere Fragen, wie langfristige Termine mit z.B. Jobcentern brauchen in der Regel immer Unterstützung. Oft ist es so, dass die Gruppen nach einem Jahr sich verkleinern. Manche Leute gehen raus und andere bleiben noch da und haben Kontakt oder die Flüchtlinge wissen, an wen kann ich mich wenden, wenn ich nach einer Zeit Fragen habe, wo kann ich euch erreichen, also da besteht in der Regel immer die Möglichkeit – aber auch immer die Einbindung in die Hilfesysteme vor Ort. Es gibt den Anspruch, für die Zielgruppe der Migrationsberatung für Erwachsene oder auch der Jugendmigrationsdienste, aufgrund ihres Aufenthaltsstatus die Hilfesysteme vor Ort wahrzunehmen.

Was für Menschen sind das, die Mentor*innen, können Sie dazu etwas sagen?

Das kann man nicht in einem Satz darstellen. Es gibt aus der Anfangszeit des Programms viele Menschen aus dem kirchlichen Kontext. Häufig sind das Personen am Ende ihres Berufslebens oder in der frühen Ruhestandsphase, gut verwoben und verbunden in ihren jeweiligen Herkunftskommunen oder Gemeinden, mit Netzwerken, die aus einer christlichen Motivation heraus sich engagieren.

Es gibt andere Gruppen aus einem völlig anderen Kontext, die einfach davon gelesen haben in der Öffentlichkeitsarbeit und sich angesprochen fühlten, sich selbst als kirchenfern betrachten, aber sagen, ich finde das eine wichtige Sache, das muss man machen. Da geht es eher um eine Mischung aus altruistischem, aber auch politischem Anspruch, zu sagen, ich gebe auch ein politisches Signal. Das will ich denjenigen aus der Kirche nicht absprechen, es steht bei anderen nur mehr im Vordergrund.

Weil es in der Regel ältere Menschen sind, die sich engagieren, haben sie teilweise in den Familien eine Art Opa- und Oma-Funktion und werden auch so wahrgenommen, teilweise werden sie auch Oma genannt.

Interview: Anja Buchholz; Redaktion: Anja Buchholz und Lukas Spahlinger