„Wir haben Wirtschaftsprobleme, aber am Ende dreht sich wieder alles um Migration“

Hakan Demir (40), Migrationsexperte der SPD-Fraktion im Bundestag, spricht über berufliche Erfolgsgeschichten von Geflüchteten und über die Polarisierung der Migrationsdebatte.

Herr Demir, Sie haben am Fachkräfteeinwanderungsgesetz mitgewirkt. Wenn Sie sich ein Einwanderungsgesetz frei nach Ihren Wünschen basteln könnten, um Erwerbsmigration für alle Beteiligten zu verbessern, wie würde es aussehen?

Vielleicht würde ich erst einmal ein Partizipationsgesetz machen, mit dem man die Menschen, die schon hier sind und auch die, die herkommen wollen, einbindet in die Migrationspolitik. Dass man sie mal fragt, was das für sie bedeuten könnte, wenn wir solche Gesetze machen.

Migration wird oft als Problem, selten als Erfolg beschrieben. Welche Erfolgsgeschichten begegnen Ihnen?

Zum Beispiel die von einem Syrer, der 2015 nach Deutschland gekommen ist und heute eine Kita leitet. Oder die eines Oberarztes im Klinikum Vivantes, ebenfalls mit syrischem Hintergrund. Ich kenne sehr viele Beispiele von Menschen, die zugewandert sind, auch als Flüchtlinge, und heute so wichtig sind für dieses Land.

Viele Betriebe könnten ohne ihre ausländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gar nicht existieren. Trotzdem wird Migration von vielen Menschen heute vor allem als Bedrohung empfunden. Woher kommt die Polarisierung der Debatte?

Die Polarisierung kommt daher, dass wir Akteure innerhalb der Gesellschaft haben, die diese Polarisierung wollen. Es ist eine Strategie vor allem der AfD, spätestens seit 2015, exakt so über das Thema zu sprechen und dieses Land schlecht zu reden. Und dann gibt es Parteien der Mitte, die auf diese Strategie reingefallen sind und vieles übernommen haben, zum Beispiel diese Fixierung auf Abschiebungen. Dass es inzwischen an jeder Grenze in Deutschland Grenzkontrollen gibt, das wäre noch im Jahr 2017 oder 2018 gegen den europäischen Gedanken gewesen. Aber jetzt haben wir das. Bei allen Themen geht es heute um Migration. Wir haben Wirtschaftsprobleme, Probleme mit der Kinderbetreuung, aber am Ende dreht sich wieder alles um Migration. Leider trägt Social Media hier viel bei. In was für einer Gesellschaft könnten wir leben, wenn es Algorithmen gäbe, die Respekt belohnen statt Kampf und Streit. Aber ich glaube daran, dass 80 bis 90 Prozent unserer Gesellschaft doch rational sind und diese Polarisierung eigentlich gar nicht wollen. Das gibt mir Mut.

Interview und Redaktion: Philip Büttner und Lukas Spahlinger