Herr Demir, ausländische Fachkräfte, die nach Deutschland kommen möchten, stoßen auf große bürokratische Hürden. Fehlt es uns an einer Willkommenskultur?
Wir haben über 600 Ausländerbehörden in Deutschland. Das ist nicht per se schlecht. Aber wenn die Standards unterschiedlich sind und so manche Behörde noch gar nicht digital kommunizieren kann, dann ist das ein Problem. Bürokratie muss es geben, das ist klar. Es muss zum Beispiel geprüft werden, dass jemand, der nach Deutschland kommt, einen Arbeitsvertrag hat, mehr als Mindestlohn verdient, dass kein Lohndumping entsteht und die Arbeitsbedingungen gut sind. Aber die Bürokratie fängt ja schon damit an, dass man im Ausland sehr lang auf ein Visum wartet. Das sorgt nicht dafür, dass sich eine Person willkommen fühlt. Jemand aus Indien, der zum einen hört, dass das Verfahren sechs Monate bis ein Jahr dauert, und zum anderen, dass auf Sylt „Ausländer raus“ gesungen wird, der kommt nicht nach Deutschland. Die Bürokratie ist noch nicht „Willkommenskultur plus“, aber wir haben auch eine Gesellschaft, die in Teilen keine Willkommenskultur will.
Hat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zumindest hinsichtlich der Bürokratie Verbesserungen gebracht?
Wir haben mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz versucht, das eine oder andere zu erleichtern. Beispielsweise kann jetzt eine Person nach Deutschland kommen, wenn sie hier einen Arbeitsvertrag hat und zwei Jahre Ausbildung plus zwei Jahre Berufserfahrung mitbringt, zum Beispiel als Koch oder als Mechatronikerin. Dann muss sie kein Anerkennungsverfahren durchlaufen. Und wir haben auch eingeführt, dass jemand mit einem Visum zwölf Monate hierbleiben kann, ohne sofort zur Ausländerbörde laufen und einen Aufenthaltstitel einholen zu müssen. Die Person kann erst einmal ankommen. Ein paar Vereinfachungen haben wir also schon geschaffen, aber ich würde nicht sagen, dass wir am Ende des Weges sind. Seit dem 1.1.2025 ist zumindest das Visa-Verfahren digitalisiert. Aber auch bei den Behördenkontakten in Deutschland können wir noch mehr vereinfachen.
Wie sehen Sie die Beratungsangebote und Hilfsstrukturen für die Menschen, die bereits in Deutschland angekommen sind. Reichen die aus?
Da ist in den letzten Jahrzehnten viel entstanden. Als mein Großvater 1970 aus der Türkei nach Deutschland gekommen ist, da gab es keine Integrationskurse, da gab es gar nichts. Und dann hat man sich gewundert, warum er kein Deutsch spricht. Heute gibt es Integrationskurse, Erwachsenenberatung, Asylverfahrensberatung, Jugendmigrationsdienste von Diakonie, AWO und anderen. All das kostet uns viel Geld, aber das müssen wir uns auch leisten. Diese Angebote müssen noch besser finanziert werden. Der Bedarf ist groß. Ich habe noch von keiner Sozialberaterin gehört, die sich beschwert, dass zu wenig Leute in die Beratung kämen.
Was halten Sie von dem Ansatz, Fachkräfte schon im Ausland zu beraten, bevor sie zu uns kommen?
Es gibt vom Entwicklungsministerium finanzierte Migrationszentren zum Beispiel in Marokko oder Tunesien, die die Aufgabe haben, Menschen schon vor Ort aufzuklären, welche Möglichkeiten und Voraussetzungen es gibt, nach Deutschland zu kommen. Von solchen Zentren gibt es aber nur sehr wenige, das ist eher Zukunftsmusik. Private Unternehmen sind auch in den Herkunftsländern tätig und vermitteln Arbeitskräfte nach Deutschland. Aber das sehe ich eher kritisch. Da gibt es viel Wettbewerb, da werden Menschen vielleicht teilweise auch zur Ware. Da braucht es wahrscheinlich eine Regulierung, etwa hinsichtlich der hohen Gebühren, die die Menschen für ihre Vermittlung bezahlen.