„Man ist Teil von einem Team und macht etwas für eine gute Sache zusammen.“

Daria Brusova (31) nimmt die Arbeitskultur in Deutschland als kooperativ wahr. Hier erzählt sie, wie für sie der Einstieg in die Arbeitswelt war, auch wenn noch Sprachbarrieren bestehen. Man unterstützt sich gegenseitig. Dann sind die teils lästigen bürokratischen Genehmigungsverfahren auch leichter zu ertragen.
ARBEITEN

Wie sind Sie zu dem Job gekommen?

Zuerst hat mein Sohn hier einen Platz in der Kindertagesstätte erhalten und danach habe ich diese Arbeit bekommen. Ich habe diesen Kindergarten erst aus Eltern-Sicht kennengelernt. Dann wurde eine Stelle frei. Es gibt viele Kinder aus der Ukraine und die KiTa-Leitung wollte deshalb, dass es ukrainisch sprechende Betreuung gibt. Für mich ist das perfekt, da mein Sohn hier untergebracht ist und ich hier arbeiten kann.

Also hatten Sie auch nicht vorher geguckt, ob Sie einen Job als Apothekerin finden?

Das geht nicht. Ich muss ein B2-Sprachniveau nachweisen und meine Dokumente anerkennen lassen. Ich kenne manche Menschen aus der Ukraine. Sie haben eine Ausbildung oder ein Studium gemacht und können leider trotzdem nicht arbeiten. Sie müssen zuerst eine Berufsanerkennung machen. Das ist sehr kompliziert.

Aber Sie sind jetzt hier als Teilzeitkraft angestellt?

Ja. Damit ich nebenher noch einen Deutschkurs machen kann.

Haben Sie vor, eine Erzieherinnen-Ausbildung zu machen, wenn Sie hier arbeiten?

Ich überlege mir das, weil ich weiß, dass andere Leute, die diesen Beruf  ausüben und viel Erfahrung mitbringen, den Beruf besser machen können als ich. Ich bin erst am Anfang und muss mich erstmal in dem Beruf zurechtfinden. Ich bin nicht nur Apothekerin von Beruf, sondern auch Krankenschwester. Aus dieser Erfahrung weiß ich, dass Berufe zu erlernen, viel Aufwand bedeutet. Jetzt möchte ich mich erst einmal auf das Deutsch-lernen konzentrieren. Das ist nicht einfach und dafür benötige ich momentan viel Zeit. Das muss ich noch genauer überdenken.

Und ich möchte sagen, dass es toll ist, dass hier in Deutschland jemand, z.B. aus der Ukraine, einen anderen Berufe erlernen kann, man zum Jobcenter gehen und z.B. eine Erzieher-Ausbildung machen kann. Deutschland bietet viele Möglichkeiten. Das ist wirklich toll!

Haben Sie das Gefühl, dass sich die Arbeitskultur oder die Arbeitsethik von der Arbeitskultur in der Ukraine unterscheidet?

Ich denke, dass hier mehr Wert auf den Teamgedanken gelegt wird. Man ist Teil von einem Team und macht etwas für eine gute Sache zusammen. Man kommt nicht zur Arbeit und macht etwas und sagt „Hallo“ und „Tschüss“ und geht wieder nach Hause. Insgesamt ist es hier weniger stressig. Das ist in der Ukraine nicht immer so gut. Wobei es natürlich auch tolle Arbeitsteams gibt. In der Ukraine werden manchmal Regeln aufgestellt, die aber nicht so gut greifen und nicht so klar sind. Dabei ist es wichtig, dass Regeln gut funktionieren. Hier in Deutschland sind die Regeln und Rahmenbedingungen wirklich klar und es ist wirklich schwierig, gegen Regeln zu verstoßen. In der Ukraine ist das leider manchmal nicht so gut.

Ich bin hier in Deutschland aufgewachsen und ich habe die vielen Vorschriften und Regeln eher negativ empfunden. Würden Sie sagen, dass Vorschriften und Regeln etwas Positives sind?

Ja, aber auf der anderen Seite fühlt man sich sicher. Regeln und Vorschriften schaffen Sicherheit. Natürlich hängt das auch von der Persönlichkeit ab, wie man das wahrnimmt. Nichtsdestotrotz ist es so wichtig, dass für alle die gleichen Regeln gelten. Natürlich gibt es auch die Bürokratie. Zum Beispiel, wenn Einwanderer hier arbeiten wollen, aber es wird nicht erlaubt, weil es keine Anerkennung gibt und man ein halbes Jahr auf eine Anerkennung warten muss. Jedoch gibt es auch Programme, mit denen man einen Minijob beginnen kann und direkt etwas arbeiten kann. Das ist wichtig, um Sprachpraxis zu erlernen. Man kann direkt starten.

Ich war wirklich froh, dass ich das machen konnte, weil ich wirklich einen Minijob brauchte, weil mein Vater noch in Bachmut in der Ukraine ist. Die Stadt ist ist völlig zerstört. Die Situation ist wirklich schlecht in der Ukraine. Die Ukraine braucht so viel Unterstützung. Und meine Idee war, dass ich, wenn ich arbeiten kann, Geld als Unterstützung zu meinem Vater senden kann. Er ist fast 70 Jahre alt. Und leider gibt es in der Ukraine keine gesetzliche Krankenversicherung. Wenn jemand älter ist, zum Doktor geht und eine Behandlung benötigt, ist es zu teuer.

Denken Sie, es ist eine gute Sache hier, wie die sozialen Sicherheitssysteme greifen?

Ja, natürlich. Ich denke, das ist das beste Ding, weil es total fair ist. Wenn jemand älter ist und Krebs bekommt, ist eine Behandlung sehr teuer. In der Ukraine wird häufig über Soziale Medien Geld über GoFundMe-Seiten gesammelt, um kostspielige Behandlungen finanzieren zu können.

Was mir an der gesetzlichen Krankenversicherung gut gefällt ist, dass man regelmäßige Checkups machen kann und nichts dafür bezahlen muss. Oder, dass man durch den Besuch von Sportkursen die Kosten für die Versicherung reduzieren kann, z.B. Ernährungsberatungen in Anspruch nehmen kann. Das finde ich wirklich cool.

Sie sind jetzt hier in Deutschland. Haben Sie auch vor, hier erstmal zu bleiben? Wenn der Krieg aufhören würde, möchten Sie zurückkehren?

Ich möchte gerne hierbleiben. Ich weiß, dass die Situation mit dem Krieg überhaupt nicht klar ist. Mariupol ist wirklich weit weg und die Okkupation wird noch lange dauern. Und danach bedarf es viel Zeit in der Ukraine, um das Land wieder aufzubauen und z.B. die Minen wieder zu entfernen. Der Wiederaufbau würde lange dauern. Das heißt: Perspektivisch bleibe ich auf jeden Fall in Deutschland. Viele Leute haben mir gesagt, dass ich wirklich gut deutsch spreche.

Interview: Laura Kramer und Beate Schulte; Redaktion: Lukas Spahlinger